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Marius Müller-Westernhagen – Playlist
zum Portrait von Friedrich Dönhoff

Freiheit, Sexy, Lass uns leben, Wieder hier sind Songs, die alle mitsingen können. 

Doch wer ist der Mensch dahinter? In persönlichen Gesprächen mit Friedrich Dönhoff erzählt Marius Müller-Westernhagen, was ihn bewegt und zu dem Menschen gemacht hat, der er heute ist. Seine Erinnerungen führen zurück ins Deutschland seiner Kindheit, zu den ersten Auftritten in den Sechzigern, in die Zeit der Jugendrevolten und zu den Anfängen einer neuen Art von Musik, die die Welt verändern wird.

Zum Wochenende teilen wir heute fünfzehn Stücke, die im Portrait Erwähnung finden – eine Playlist, die Marius Müller-Westernhagen durch sein Leben begleitet.

Freiheit

»Als er aufschaut und sich traut, wieder hochzukommen, ist er wie benommen. ›Okay‹, er atmet schwer, ›danke‹, sagt er mit Tränen in den Augen, und seine Stimme schallt durch das Stadion. ›Wir haben –‹ Er bricht ab, drückt sich zwei Finger an die Nase. ›Wir haben vor diesem Konzert
zwölf wahnsinnige Konzerte gespielt‹, und nun hat er seine Stimme wieder im Griff. ›Aber das hier, das ist das Wahnsinnigste, was ich in meiner ganzen Karriere erlebt habe.‹ Er blickt hinaus. ›Danke!‹ Er wendet sich seinem Pianisten am Flügel zu und gibt das Zeichen.
Das Intro zum Song Freiheit beginnt, und mit den ersten Tönen flammen kleine Lichter auf, Hunderte, Tausende, ein Lichtermeer unter dem schwarzen Nachthimmel.«

(Auszug S. 6-7)

Freiheit – Westernhagen – Live in Berlin / 2017

Goodbye Johnny

»Musik – das sind für den angehenden Jugendlichen die Lieder aus dem Theater, die er aus seiner Kindheit kennt und liebt, Lieder von Bertolt Brecht und Kurt Weill, Lieder aus dem Faust, Es war einmal ein König, von Gustaf Gründgens intoniert. Tief berührt ihn Goodbye Johnny, gesungen von Hans Albers. Bisher kennt er nur, was seine zwei Jahre ältere Schwester Christiane hört: nicht Elvis Presley, wie die meisten Mädchen ihres Alters, sondern Bobby Darin, Eddie Fisher oder Perry Como. Eigene Schallplatten, oder gar einen Plattenspieler, besitzt er noch längst nicht.«

(Auszug S. 28)

Goodbye Johnny – Hans Albers

Black Lives Matter

»Nach dem Gespräch legt er das Smartphone zur Seite und erzählt von Larry Campbell, dem Musiker, der schon auf zwei Westernhagen-Alben mitgearbeitet hat. Der Grammy-Gewinner hat elf Jahre mit Bob Dylan gespielt und auch auf dem letzten Keith-Richards-Album mitgewirkt. Er lebt in Woodstock, NY, wo er auch herstammt. Der neue Westernhagen-Song, den sie beide gerade arrangieren, heißt Black Lives Matter

»Ich musste einfach über die Unruhen in Amerika schreiben, über das, was im Augenblick passiert. Mir schwebte ein Kampf lied vor, das die ›Black Lives Matter‹-Bewegung unterstützt.« Normalerweise würde er jetzt mit seinen Musikern ins Studio gehen und mit ihnen den Song aufnehmen. Aber sie sind Amerikaner, und wegen Corona kann niemand reisen.
›Also‹, sagt er, ›bin ich zu einem Experiment gezwungen. Ich werde den neuen Song mit den Musikern auf digitalem Weg entwickeln, jede Spur einzeln, und sie dann hier in Berlin im Studio zusammenbringen.‹«

(Auszüge S. 34-35)

Black Lives Matter – Marius Müller-Westernhagen

I Want To Hold Your Hand

»Trotz der Sorge um den Vater soll am 6. Dezember mit einer kleinen Party Marius’ fünfzehnter Geburtstag gefeiert werden. Freunde und Freundinnen sind am Nachmittag in die Heesenstraße eingeladen, die Mutter hat Kuchen gebacken und erlaubt sogar, dass die kleine Party im Wohnzimmer steigt. Einer der Gäste – es ist Linda, die Tochter des Engländers Peter Grenville, ein Freund von Hans Müller-Westernhagen, der in Düsseldorf ein Lichtspielhaus betreibt – hat für Marius ein besonderes Geschenk mitgebracht: die Single einer Band aus England mit einem Song, der erst vor wenigen Tagen erschienen ist. Auf der kleinen quadratischen Hülle schieben sich ein blauer, ein roter und ein grüner Kreis ineinander, und vier freundliche junge Männer in Anzügen lachen dem Betrachter entgegen. Über ihren Pilzköpfen steht in weißen Lettern der Name der neuen Band: The Beatles. Die Geburtstagsgäste schauen gespannt zu, wie das Geburtstagskind die kleine Schallplatte aus ihrer Hülle zieht, das grüne Label mit den schwarzen Buchstaben und dem Titel I Want To Hold Your Hand betrachtet, die Scheibe vorsichtig auf den Plattenteller legt und noch vorsichtiger die Nadel aufsetzt.«

(Auszug S. 51)

I Want To Hold Your Hand – The Beatles

Born to be wild

»Sind das auch deine Platten von früher?«
»Das sind sogar meine Platten aus meiner Teenagerzeit. Alle mit Originalcover!« Er fährt mit der Hand an den Plattenhüllen entlang, zieht eine heraus und schaut aufs Cover: Steppenwolf steht in großen schwarzen Lettern auf der Hülle. »Erinnerst du dich?«, fragt er, »Born to be wild? Klar erinnerst du dich daran!«

(Auszug S. 54)

Born to be wild – Steppenwolf

Daumen im Wind

»Auf dem nächsten Album guckt uns der junge Udo Lindenberg an – ohne Sonnenbrille, ohne Hut. Daumen im Wind, aus dem Jahr 1972. Udo Lindenberg ist da erst Mitte zwanzig. Marius kannte ihn damals schon. ›Das ist für mich vielleicht die schönste Platte, die Udo je gemacht hat‹, sagt er. ›Da singt er mit so einem ganz kleinen Stimmchen.‹ Er stimmt eine Textzeile an, die er auswendig kennt, imitiert liebevoll Lindenbergs Stimme von damals.«

(Auszug S. 58)

Daumen im Wind – Udo Lindenberg

Wieder hier

»Er erzählt, wie er im Frühsommer 1998 mit seinen Musikern im Londoner Olympic Studio sein Album Radio Maria aufgenommen hat. An jenem Tag, als die Band Wieder hier spielte, hatte er schon beim Gitarrenintro das Gefühl, dass der Song besonders sein könnte. ›Alles stimmte: Das Tempo, die Tonlage, es fühlte sich einfach an wie aus Fleisch und Blut.‹
Das Stück erschien im Herbst 1998 als zweite Single des Albums Radio Maria, das für Marius Müller-Westernhagen zum fünften Nummer-eins-Album in Folge werden sollte. Der Song Wieder hier gehört bis heute zu den Westernhagen-Klassikern.«

(Auszug S. 67-68)

Wieder hier – Marius Müller-Westernhagen

I Can’t Get No Satisfaction

»Als die zweite Langspielplatte der Rolling Stones mit dem Titel No 2 auf den Markt kommt, holt Marius sie sofort in dem kleinen Plattenladen mit der süßen Verkäuferin, wo man im Gegensatz zu dem großen Funkhaus Evertz keine Platten anhören kann. Zu Hause spielt er die Platte rauf und runter. Sie enthält, wie schon das erste Album, neun Rhythm-and-Blues-Coverversionen und drei Eigenkompositionen (erst später werden die Stones durchweg eigene Songs schreiben). Das Album erreicht weltweit Spitzenplätze in den Hitparaden, ebenso die Singles The Last Time und I Can’t Get No Satisfaction. Die Beatles besetzen in diesem Jahr 1965 in Deutschland mit ihrem Album Beatles For Sale schon das ganze Frühjahr den ersten Platz der Albumcharts und legen im Herbst mit dem Album Help!, der gleichnamigen Single und dem Song Yesterday nach. Sechs Alben veröffentlichen die Beatles in ihren ersten drei Jahren. Unter Musikfans ist längst die Frage entbrannt, welche der beiden Bands die bessere ist. Für Marius steht es (noch) außer Frage: natürlich die Stones.«

(Auszug S. 85-86)

I Can’t Get No Satisfaction – The Rolling Stones

I Will Always Love You

»Es gibt Songs, die wurden so gut gesungen, dass es einfach nicht besser geht.«
»Zum Beispiel?«
»Frank Sinatra: My Way. Den Song würde ich nie anfassen, und dabei liebe ich ihn. Ich liebe ihn! Aber niemand kann ihn so gut singen wie er. Ebenso: If You Go Away – geschrieben von Jacques Brel in der Interpretation von Sinatra.«
»Und bei den Sängerinnen?«
»Whitney Houston: I Will Always Love You, geschrieben von Dolly Parton.«

(Auszug S. 93)

I Will Always Love You – Whithey Houston

Der Chor der Blöden

Ich frage ihn, wo er seine Texte archiviert, falls er mal was nachschlagen will.
»Ich schau einfach im Internet«, sagt er. »Du brauchst nur Westernhagen eingeben, und zack.«
»Wollen wir mal einen anschauen? Welchen?«
Marius steht auf. »Der ist auf dem Halleluja-Album und heißt Der Chor der Blöden. Ich gucke mal, ob ich den finde.«
Er geht rüber zum Schreibtisch am Fenster, kommt mit dem Notebook zurück und stellt es auf seine Knie. »Komisch, dass man sich an seine eigenen Texte nicht mehr genau erinnern kann, oder?«
»Findest du das wirklich komisch? Ist doch eigentlich klar, wenn man immer wieder Neues schreibt.«
»Geht dir das mit deinen Texten auch so?«
»Natürlich.«
»Das tröstet mich.«

(Auszug S. 93-94)

Der Chor der Blöden – Marius Müller-Westernhagen

Hey Joe

»12. Januar 1969, Düsseldorf, Rheinhalle, Herrentoilette, 18.50 Uhr. Marius steht in einer Kabine mit beiden Füßen auf der Kloschüssel. Die Tür hat er zugemacht, aber nicht abgeschlossen. Im Ohr hat er noch die Songs von Jimi Hendrix, dessen Konzert gerade zu Ende gegangen ist: Foxy Lady, Fire, Red House und Hey Joe. Marius hält die Luft an, als sich die Tür zum großen Toilettenraum öffnet und gemessene Schritte den Raum durchqueren. Der Saaldiener schreitet die Kabinen ab, bückt sich und kontrolliert, dass sich hier keine dieser langhaarigen Gestalten versteckt, die eventuell schon beim ersten Konzert gewesen ist und nun vorhat, sich auch ins zweite zu mogeln.«

(Auszug S. 119)

Hey Joe – Jimi Hendrix

Alles klar auf der Andrea Doria

»Um die Ecke, im Teldec Studio an der Osterstraße in Hamburg-Eimsbüttel, nimmt Udo Lindenberg im Spätsommer 1973 mit seinen Musikern, dem neu gegründeten Panikorchester, den Song Alles klar auf der Andrea Doria auf, in dem er auf eine noch nie gehörte Art die Welt im Onkel Pö besingt, und neun weitere Nummern. Weil Udo Perfektionist ist, ziehen sich die Aufnahmen hin. Marius spaziert immer mal wieder im Studio vorbei, schaut zu und beobachtet, wie Udo diszipliniert und teilweise genialisch eine Platte mit Rockmusik in deutscher Sprache produziert. Sie wird schon im Dezember erscheinen – und für Udo Lindenbergs kommerziellen Durchbruch stehen.«

(Auszug S. 150)

Alles klar auf der Andrea Doria – Udo Lindenberg

Wenn jemand stirbt

»Er zieht sich in seine Wohnung am Mittelweg zurück oder liegt draußen auf den Alsterwiesen und beginnt zu schreiben, und das geht erstaunlich schnell. Er schreibt über das, was ihm in den bisherigen fünfundzwanzig Jahren seines Lebens zugestoßen ist und ihn beschäftigt hat: die erste Liebe (Wir waren noch Kinder), über die Mutter (Sie war auch dann noch da) und über seinen Vater, den er auch zwölf Jahre nach dessen Tod immer noch schmerzlich vermisst – Wenn jemand stirbt.«

(Auszug S. 167)

Wenn jemand stirbt – Marius Müller-Westernhagen

Taximann

»Am 26. April 1975, nach dem Show Opener von Ralph McTell mit Streets Of London, begrüßt Ilja Richter das Publikum wie gewohnt mit ›Hallo Freunde!‹, und das Publikum antwortet, wie gewohnt, mit ›Hallo Ilja!‹ Nach einem dreiminütigen Ilja-Richter-Einspieler und den Auftritten von Tina York mit Wir lassen uns das Singen nicht verbieten und von The Sweet mit Fox On The Run kündigt Ilja Richter im korrekt zugeknöpften, zweireihigen beigefarbenen Anzug mit dicker Seidenkrawatte den ›Disco-Tip‹ an: ›Liebe Freunde! Sie erfahren jetzt etwas von M-M-W (Kunstpause). Ja! M-M-W ist keine Automarke, sondern: Marius. Müller. Westernhagen. Marius ist Schauspieler, Komponist und nun auch Sänger – mit seinen eigenen Texten. Hier ist sein Lied vom – Taximann!‹ «

(Auszug S. 170-171)

Taximann – Marius Müller-Westernhagen

Spieglein, Spieglein an der Wand

»Die Arbeit für unser Buch geht dem Ende zu. Ein Anruf bei Marius. ›Sag mal, welchen Songtext von deinem neuen Album fändest du passend für das Ende des Buches? Ich hätte schon einen Favoriten.‹ Marius überlegt einen Moment. ›Spieglein, Spieglein an der Wand‹, schlägt er vor. ›An welchen hattest du gedacht?‹ «

Spieglein, Spieglein an der Wand – Marius Müller-Westernhagen

Marius Müller-Westernhagen
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Marius Müller-Westernhagen

Ein Portrait

Friedrich Dönhoff, geboren 1967 in Hamburg, ist in Kenia aufgewachsen. Er studierte Geschichte und Politik, verfasst Romane und Biografien, u.a. den Bestseller Die Welt ist so, wie man sie sieht und Ein gutes Leben ist die beste Antwort. Friedrich Dönhoff lebt in Hamburg und Berlin.

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