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»Ich bin ein hundertprozentiger Zero.« Ein Interview mit Anthony McCarten

Was ist wichtiger – Privatsphäre oder Sicherheit? Diese Frage ist im neuen Roman Going Zero von Anthony McCarten allgegenwärtig. Eine junge Frau stellt sich einem spannenden Experiment der Regierung und eines Social-Media-Moguls. Die Aufgabe: sie soll 30 Tage unauffindbar bleiben. Ist das überhaupt noch möglich in einer Welt, in der wir ständig Spuren hinterlassen?

Im Diogenes Interview erzählt uns der Autor, wieso er selbst in den sozialen Netzwerken nicht zu finden ist und welche Sorgen er sich um unsere Zukunft macht. Außerdem kommt der Autor bald auf Lesereise nach Zürich (7.5.2023), Berlin (8.5.2023) und Hamburg (9.5.2023), um seinen Roman persönlich vorzustellen.

Foto: © Privat

Worum geht es in Ihrem Roman?
Anthony McCarten: Ich stamme aus einer Zeit, zu der es noch möglich war, vom Radar zu verschwinden und sich allen Einflüssen zu entziehen, außer denen, die man von sich aus an sich heranließ. Im Laufe der letzten Jahrzehnte ist ein immer größeres, unkontrolliertes Maß an Überwachung aufgekommen, eine unterschwellige Einflussnahme – das ist eins der großen Themen unserer Gegenwart. Was bedeutet Privatsphäre heute noch? Sind meine Ansichten und Einstellungen überhaupt noch meine eigenen, oder wurde ich manipuliert? Ich glaube, die erste Idee zu diesem Thriller hatte ich im Sommer 2016, aber es dauerte eine Weile, bis er Gestalt annahm.

Wie haben Sie für den Roman recherchiert? Haben Sie sich alles ausgedacht, oder basiert er auf realen Vorkommnissen?
Anthony McCarten: Zu neunzig Prozent kann man ja heutzutage online recherchieren. Überwachungskapitalismus ist ein Riesenthema, viele haben Kluges über die zukünftigen und gegenwärtigen Gefahren geschrieben. Ein Handlungsfaden des Romans ist von einer wahren Geschichte inspiriert, die mich interessierte, über einen Amerikaner namens Robert Levinson, einen CIA-Agenten, der verschwunden war.

Sind Sie selbst in den sozialen Netzwerken aktiv?
Anthony McCarten:
Nein. Da bin ich ein hundertprozentiger Zero.

Hat sich Ihr Verhältnis zum Thema Datenschutz im Laufe des Schreibprozesses verändert?
Anthony McCarten: Meine Wut wurde höchstens noch größer, je mehr ich mich damit beschäftigte. Die Liste der positiven Veränderungen, die das Digitalzeitalter uns beschert hat, ist endlos, aber es gibt einen großen und dringlichen Bedarf an neuer Gesetzgebung, die dafür sorgt, dass die Firmen sich nicht so viel erlauben können und keinen so großen Schaden anrichten. Die Demokratie wird immer weiter ausgehöhlt, ganz zu schweigen von den Massen an Fake News, von Identitätsdiebstahl, Hassrede im Netz und dem Schaden, den die sozialen Medien der zerbrechlichen Psyche junger Menschen zufügen.

Halten Sie ein Projekt wie FUSION für realistisch? Und was würden Sie tun, wenn Sie wirklich untertauchen müssten?
Anthony McCarten: Mehr als nur realistisch, so etwas geschieht bereits. Vielleicht nicht so zentral organisiert, so umfassend, aber es geschieht. Was ich mir für mich persönlich ausgedacht habe, wenn ich untertauchen müsste, steht alles in dem Roman. Wäre mir sonst noch etwas eingefallen, stünde es auch dort.

Gibt es die perfekte Balance zwischen allgemeiner Sicherheit und persönlicher Freiheit / Demokratie und Überwachungsstaat?
Anthony McCarten: Es muss ja nicht gleich perfekt sein. Aber es muss besser werden, durch politische Intervention und vielleicht auch durch öffentlichen Protest. Die Firmen müssen ihre Mechanismen offenlegen, es muss Klarheit darüber herrschen, was mit unseren persönlichen Daten geschieht. Es sollte Standards geben, die jede Software erfüllen muss, bevor sie im öffentlichen Raum eingesetzt werden darf – genau wie es bei Lebens- oder Arzneimitteln der Fall ist.

Wie haben Sie es geschafft, sich in die Hauptfigur, die einen als Leser:in immer wieder überrascht, so gut hineinzuversetzen?
Anthony McCarten: Natürlich muss ihr Innenleben für mich nachvollziehbar sein. Und ich habe die Handlung so gestaltet, dass sie immer wieder vor neuen Herausforderungen stand, sodass sie auch immer wieder neue innere Ressourcen entdecken musste. Sie musste sich selbst überraschen, wenn sie die Leser:innen überraschen sollte.

Sie schreiben Drehbücher für Hollywood, vor Kurzem die Verfilmung von Whitney Houstons Leben als Biopic in die Kinos. Gibt es auch schon Pläne, Going Zero zu verfilmen?
Anthony McCarten: Natürlich kann ich mir Going Zero gut als Film vorstellen, und tatsächlich haben mich schon auch mehrere bekannte Hollywood-Schauspielerinnen wegen der Hauptrolle angesprochen. Wenn heutzutage ein erfolgversprechendes Buch neu auf den Markt kommt, dann ist, vorab und im Hintergrund, Hollywood offenbar immer der erste Leser.

Interview mit Anthony McCarten von Stephanie Uhlig. Aus dem Englischen von Manfred Allié. © by Diogenes Verlag AG Zürich

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Going Zero

Anthony McCarten, geboren 1961 in New Plymouth/Neuseeland, schrieb als 25-Jähriger mit Stephen Sinclair den Theaterhit Ladies Night. Es folgten Romane und Drehbücher, für die er schon mehrere Male für einen Oscar nominiert war (u.a. zu den internationalen Filmen The Theory of Everything und Darkest Hour und Bohemian Rhapsody). Er lebt in London.

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