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›Irgendwann werden wir uns alles erzählen‹ – Ticket-Verlosung zum Kinostart

Die Verfilmung von Irgendwann werden wir uns alles erzählen ist seit dem 13.4.2022 im Kino!

Eine Liebe, die alles hinwegfegt. Während die Weltgeschichte im heißen Sommer 1990 Atem holt, während ein ganzes Land sich umwälzt und die Atmosphäre vibriert von Möglichkeiten, wird ein junges Mädchen zur Frau und Geliebten. Nach der Romanvorlage Irgendwann werden wir uns alles erzählen von Daniela Krien.

Sie möchten den Film sehen? Wir verlosen 5x2 Kinotickets.

Zum Trailer

Der Film feierte seine Weltpremiere bei der 73. Berlinale
Regie: Emily Atef
Drehbuch: Daniela Krien und Emily Atef
Mit Marlene Burow, Felix Kramer und Cedric Eich in den Hauptrollen. 
Produktion: Rohfilm Factory GmbH, zusammen mit MDR, ARTE, SWR, RBB
Verleih: Pandora Filmverleih

Das Drehbuch hat die Autorin gemeinsam mit der Regisseurin Emily Atef geschrieben. Im Interview erfahren wir mehr über den Entstehungsprozess und ihre intensive Zusammenarbeit.

Copyright: Pandora Film / Row Pictures

Was suchen Sie jeweils in der Kunst der anderen? Emily Atef, wie nutzen Sie Literatur für sich? Daniela Krien, was bedeuten Ihnen Film und Kino?

Emily Atef: Ich habe sehr spät begonnen, mit Freude zu lesen. Vielleicht lag es daran, dass ich mit meiner Familie so oft in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Sprachen gelebt habe. Wir waren eher Reisende als Lesende, obwohl Kunst und vor allem Musik bei uns eine große Rolle spielten. Wirklich entdeckt habe ich die Welt der Bücher erst als junge Erwachsene. Heute ist die Literatur für mich ein Ausweg aus meiner eigenen Welt.

Daniela Krien: Mir geht es genau umgekehrt. Bücher waren vom ersten Moment, da ich lesen konnte, so wichtig wie essen und schlafen. Lesen ist bis heute existenziell wichtig für mich. Das mag auch damit zusammenhängen, dass es in dem sächsischen Dorf, wo ich aufgewachsen bin, kein Kino in der Nähe gab. Mit Film bin ich erst in Berührung gekommen, als ich erwachsen war und zunächst habe ich Filmen gegenüber Büchern weitaus weniger Bedeutung zugemessen. Film war Flucht aus dem Alltag, Eintauchen in Traum- und Bilderwelten, die mit den meinen überhaupt nichts zu tun hatten. Erst im Studium habe ich einen tieferen Zugang zum Film gefunden.

Obwohl Film viel konkreter sein muss als Literatur, gibt es ja in beiden Gebieten diese zweigeteilte Position des Rezipienten: Einerseits den jeweiligen Stoff mit eigenem Erleben abzugleichen, andererseits komplett auszusteigen und sich der Fantasie hinzugeben. Wenn sich dann eine Regisseurin und eine Romanautorin begegnen, könnte das sehr spannend sein. Wie war es bei Ihnen?

Emily Atef: Es ging definitiv von mir aus. Ich habe Daniela gesucht und gefunden. Esther Bernstorff, die Drehbuchautorin, mit der ich meine drei ersten Filme geschrieben habe, hat mir 2012 das Buch Irgendwann werden wir uns alles erzählen geschenkt, einfach ohne Hintergedanken mit dem Satz: »Ich glaube, es wird dir gefallen.«

Und Sie haben es überhaupt nicht »filmisch« gelesen?

Emily Atef: Ich wollte es nicht, aber es hat sich zwangsläufig ergeben. Ich habe schon einige Bücher gelesen, die ich vielleicht auch für eine Verfilmung geeignet fand. Hier aber habe ich schon beim Lesen fast den gesamten Film gesehen. Es lag an Danielas Sprache, die sehr präzise und minimalistisch ist. Ihre Dialoge und Beschreibungen von Menschen sind in diesem Buch sehr filmisch und mit sehr eigener Poesie versehen. Ich spürte einen großen, fast physischen Drang. Ich musste es einfach machen! Und dann waren die Rechte schon vergeben ... Ich habe aber nicht locker gelassen und den persönlichen Kontakt zu Daniela gesucht. Da ging es dann weniger um das konkrete Projekt, ich hatte einfach das Bedürfnis, ihr zu schreiben, wie sehr ich ihre Welt mag und habe ihr ein paar Einblicke in meine geben. Danielas Antwort kam eine Viertelstunde später. Ich war aufgeregt, als hätte mir ein Liebhaber geschrieben.

Daniela Krien: Zehn Tage später haben wir uns getroffen.

Emily Atef: Und uns sofort ineinander verliebt.

Frau Krien, haben Sie Ihr Buch gern ans Kino abgegeben?

Daniela Krien: An Emily, ja! Weil es mit uns auf menschlicher und künstlerischer Ebene sofort geklappt hat. Ich hatte Emilys Filme gesehen, mir war klar, dass sie die Sensibilität für diesen Stoff besitzen und dass es mit ihr kein Abdriften in den Kitsch oder in falsche Erotik geben würde. Das Buch bietet ja eine Gratwanderung an.

Nun gab es für Irgendwann werden wir uns alles erzählen sogar die gemeinsame Arbeit am Drehbuch. Wie kam es dazu?

Emily Atef: Ich liebe es, mit Ko-Autoren an den Drehbüchern meiner Filme zu arbeiten. Hier besonders wollte ich mit Daniela schreiben, ihren direkten Zugang zur Welt und unseren fruchtbaren Austausch unbedingt einfließen lassen.

Daniela Krien: Ich wusste nur überhaupt nicht, ob ich es kann. Es war komplettes Neuland für mich.

Emily Atef: Ich hatte eigentlich keine Bedenken. Der Roman und auch die Dialoge sind bereits so filmisch geschrieben, insofern war ich mir recht sicher, dass Daniela auch Drehbücher schreiben kann. Ich habe versucht, sie zu überzeugen und es auch geschafft. Bei einem anderen, schließlich doch nicht realisierten Kurzfilmprojekt haben wir das gemeinsame Schreiben bereits ausprobiert und es hat wunderbar funktioniert.

Wie lief Ihre Zusammenarbeit genau?

Daniela Krien: Wir haben uns zunächst ab 2014 des Öfteren getroffen, von Angesicht zu Angesicht. Da ging es noch nicht um Arbeit.

Emily Atef: Nein, überhaupt nicht! Es ging um uns als Menschen und Frauen in dieser Welt und unsere so dramatisch unterschiedlichen Geschichten und Orte, in und mit denen wir aufgewachsen sind. Daniela immer im Osten Deutschlands, ich mit meinen iranisch-französischen Wurzeln in Westberlin, den USA, Frankreich und England und dann wieder im vereinigten Berlin. Wir haben also viel gesprochen, Arbeiten ausgetauscht, unsere Familien kennengelernt. Es wurde daraus die einfachste Zusammenarbeit beim Schreiben, die ich je hatte. Und wir waren wahnsinnig schnell.

Daniela Krien: Wir haben nie gestritten. Wenn ich Details oder Stränge aus meinem Buch ziehen lassen musste, hat mich Emily schlicht davon überzeugt. Wir haben uns auch gut aufgeteilt. Die Dialoge mit der eher bäuerlichen Sprache zum Beispiel habe ich übernommen, weil ich sie kenne. Die Erotikszenen wollte ich hingegen nicht anfassen.

Emily Atef: Und ich liebe genau die!

Gibt es für Sie beide einen klaren roten Faden in der Art, wie Sie an neue Projekte herangehen? Stehen Geschichten, Themen oder Charaktere am Beginn oder ist etwas ganz anderes wichtig?

Daniela Krien: Bei mir gibt es überhaupt nichts Konkretes, ich beginne ohne Plan. Aber vor dem Beginn der eigentlichen Schreibarbeit gebe ich mir eine Zeit von etwa zwei Jahren, in der ich einfach nur sammle, sehr viel mit Menschen spreche, mir ihre Geschichten anhöre und die politische und gesellschaftliche Welt um mich herum intensiver wahrnehme. Irgendwann bin ich regelrecht voll mit Eindrücken, weiß aber immer noch nicht, wovondas Buch handeln wird. Es gibt vielleicht die eine Frage, um die es kreisen könnte, aber eben nichts Konkretes. Ich fange einfach an zu schreiben und hoffe, dass es fließt.

Emily Atef: Bei mir schwankt es eher. Mal kommen Stoffe zu mir wie für 3 Tage in Quiberon, mal ist es wie bei Irgendwann werden wir uns alles erzählen ein Roman oder bei Mehr denn je ein konkretes Thema, mit dem ich mich im Inneren über einen sehr langen Zeitraum beschäftige. Wenn wir vom roten Faden sprechen, ist es bei mir wohl die persönliche Emanzipation von gesellschaftlichen Vorgaben und Zwängen. Und im Grunde behandeln alle meine bisherigen Filme existenzielle Frauenthemen. Bei Irgendwann werden wir uns alles erzählen ist es genauso. Dennoch glaube ich, dass sich dieser Stoff nicht nur an Frauen richtet, sondern wirklich auch Männer interessiert. 

Was wollten Sie bei der Verfilmung von Danielas Roman besonders hervorheben?

Emily Atef: Die tabubrechende Darstellung des Begehrens einer jungen Frau, ihres sexuellen Begehrens, in all seinen Facetten. Maria ist fasziniert von Henner und den Gefühlen, die er in ihr auslöst. Und er, er sieht sie und begehrt sie wie niemand sonst in ihrer Umgebung. Er fasziniert sie und Maria will ihre Grenzen austesten. Wird sie sich an einer Beziehung mit einem Mann, der doppelt so alt ist wie sie, verbrennen? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Sie beschließt, ihren Gefühlen zu folgen, auch wenn das bedeutet, sich zu verbrennen und die Menschen zu verletzen, die ihr ein Zuhause gegeben haben. Sie kann nicht mehr zurück und will außerdem diese archaische sexuelle Beziehung erleben, die dann langsam zu einer romantischen wird. Und dass sie das als Frau darf, vor allem als junge Frau, das hat mich sehr interessiert.

Maria ist im Film, anders als im Buch, nicht 16, bald 17 Jahre jung, sondern 18 an der Schwelle zu 19. Ist es ein Zugeständnis?

Daniela Krien: Für mich und uns beide wäre es nicht nötig gewesen und ja, es ist am Ende auch ein Zugeständnis an die Zeit. Es wird immer schwieriger, in der Kunst völlig frei zu sein. Wir denken, glaube ich, oft schon im Schaffensprozess die späteren Reaktionen mit, weil sie eben so gnadenlos sein und Existenzen vernichten können. Aber diese Form der Selbstzensur macht jede Kunst schlechter. Kunst muss nicht moralisch einwandfrei sein.

Emily Atef: Es gab Bedenken, natürlich gab es sie! Aber es ging allen am Ende vor allem darum, dass die Geschichte gezeigt wird und zwar international und in ihrer Komplexität. Wir wollten die Gefahr vermeiden, dass der Film auf das sexuelle Verhältnis reduziert wird.

Daniela Krien: Wir haben dann lange überlegt, ob es wirklich wichtig ist, dass Maria 16 ist. Kann sie nicht 18 sein? Was ändern zwei Jahre für die Geschichte, die immer noch die gleiche Geschichte bleibt? Es war am Ende ein Kompromiss ohne künstlerische Einbußen, deshalb sind wir ihn eingegangen.

Emily Atef: Und dann wollten wir unbedingt Maria mit Marlene Burow besetzen. Man muss sie sich nur anschauen, wie reif und tief sie auf der Leinwand wirkt. Für mich ist sie keine 16 oder 17, das nehme schon ich ihr nicht mehr ab.

Bleiben wir bei Marlene Burow. Die legendäre deutsche Fotografin Ute Mahler hat mit ihr für eine Modestrecke gearbeitet und etwas sehr Schönes gesagt: »Marlene hat ein Geheimnis in sich, wenn sie spricht, sich bewegt, wenn man ihr ins Gesicht schaut. Man wird nicht fertig mit ihr. Man kommt nicht auf den Grund.« Was gäbe es Ihrerseits noch zu ergänzen?

Emily Atef: Ich habe im Vorfeld viele Mädchen für die Rolle angeschaut. Marlene kannte ich nicht, aber eines fiel mir sofort auf: Sie hat etwas sehr Natürliches und Frisches an sich, gleichzeitig etwas Kraftvolles und Bodenständiges. Ich wollte kein zerbrechliches Wesen, das zum Opfer wird. Was mich an Marlene interessiert, ist ihre Gabe, minimalistisch zu spielen. Genau das habe ich für Maria gesucht. Wir haben viel Zeit zusammen verbracht, viel geredet und auch viel geprobt. Marlene hat im Vorfeld extrem für ihre Rolle gearbeitet, es hat mich sehr beeindruckt, wie ernst sie diese Arbeit genommen hat, so konnte sie dann beim Drehen loslassen und wurde zu Maria. Als Schauspielerin mit nur einer Kino-Hauptrolle davor war sie zwar unerfahren, aber ich sah ihr Talent. Sie ist ein ganz toller Mensch. 

Der Film spielt 1990 in der ländlichen End-DDR. War es schwierig, die Balance zu finden zwischen konkreter Zeit und Zeitlosigkeit sowie konkretem Ort und universeller Verortung?

Emily Atef: Die DNA des Films ist die Beziehung zwischen Maria und Henner. Eine Beziehung, die im Französischen Amour fou genannt wird, die verrückt ist und nur tragisch enden kann. Das vor dem Hintergrund einer Zeit zu erzählen, in der gesellschaftlich und sozial vor allem Chaos herrscht, in der sich jeder neu orientieren muss, hilft der Geschichte und macht sie zugleich universell und zeitlos.

Warum spielt Irgendwann werden wir uns alles erzählen überhaupt im Jahr 1990 und in der DDR?

Daniela Krien: Wie ich schon sagte, ist da am Beginn nichts Konkretes in meinem Kopf. Hier war es nicht anders. Das, was ich vor mir sah, war ein Dorf aus der Wendezeit in Thüringen, danach bin ich einfach meinem inneren Film gefolgt. Vielleicht liegt darin auch der Grund für Emilys Empfinden, dass der Roman so filmisch sei. Beim Schreiben merkte ich, dass die Zeit, in der die Geschichte spielt, im Sommer 1990 zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung, wichtig für die Entwicklung meiner Figur war. Nur in jenen Monaten gibt es diese unglaubliche Freiheit für Maria, weil die Menschen um sie herum viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind. Selbst Marias Mutter ist orientierungslos und auf der Suche und hat zunächst keinen Blick dafür, was die Tochter gerade tut.

Autor Clemens Meyer hat das Chaos und Vakuum dieser Zeit in Als wir träumten, 2015 von Andreas Dresen verfilmt, für eine Großstadt wie Leipzig wunderbar erfasst. Auch er schaut auf drängende Jugendliche und taumelnde Erwachsene. Frau Krien, Sie waren 15 damals, lebten auf dem Land in Sachsen. Kamen beim Schreiben von Roman und Drehbuch heftige Erinnerungen hoch?

Daniela Krien: Beim Dreh vor allem, dort wurde es heftig. Mir war bis dahin noch nicht klar, dass man einen Drehort für Irgendwann werden wir uns alles erzählen gefunden hatte, der nur wenige Kilometer von dem Ort entfernt lag, den ich beim Schreiben im Kopf hatte.

Emily Atef: Es war wirklich reiner Zufall und am Ende vielleicht Magie? Unsere Szenenbildnerin Beatrice Schultz hatte beim Suchen der Locations in Thüringen eigentlich nur einen Platz zum Schlafen gesucht. Dann kam sie durch »unseren« Ort und sah »unsere« Höfe.

Daniela Krien: Ich bin beim Setbesuch noch einmal durch die Gegend meiner Jugend gefahren. Es war merkwürdig und natürlich nicht nur schön, die Erinnerungen sind es ja auch nicht.

Copyright: Pandora Film / Row Pictures

Maria wird als Hauptcharakter der literarischen Vorlage stark gezeichnet und von Marlene Burow stark gespielt. Die Geschichte entwickelt sich aus ihrem Kopf und ihren Gedanken heraus. Den wirklich herausfordernden Part bekommt im Film Henner und damit Felix Kramer. Was war schwierig beim Zeichnen dieser Figur?

Emily Atef: Die Grenzen zu zeigen, wie weit Henner gehen will und gehen wird und wie weit es Maria zulassen will und kann. Ihr stets die Möglichkeit zu geben, die Situation verlassen zu können. Henner als traumatisierten, kaputten, charismatischen, rauen, gebrochenen und verletzlichen Menschen zu zeigen, der sich wirklich in Maria verliebt, mehr vielleicht noch als im Buch.

Daniela Krien: Für mich war es schwierig, Henner seine Ambivalenz zu lassen. Er ist nun mal extrem widersprüchlich und ich wollte ihn keinesfalls glattbügeln, auch nicht im sexuellen Bereich. Sexualität ist nicht immer sanft. Männer wie Frauen gehen in den Widersprüchen zwischen ihrem ureigenen Begehren und dem, was die Gesellschaft meint, begehren zu dürfen, an Grenzen. Bei Henner geht es eben sehr weit. Aber er sollte die Sympathie des Zuschauers nicht verlieren. Henner ist kein eindimensionaler Grobian und Trinker, er liest Bücher, hört Maria zu, spricht über die schmerzlichen Erfahrungen mit seiner Mutter. Und Maria ist wirklich neugierig auf ihn, er interessiert sie. 

Daniela Krien: Sie testet ihre eigenen Grenzen mit seiner Hilfe aus. Eigentlich benutzt sie ihn mehr als er sie. 

Emily Atef: Ein Buch darf weiter gehen als der Film. Ich empfinde Henner beim Lesen viel brutaler, als wir ihn im Film zeigen. Bei uns geht dann eine Tür eben auch einfach zu und was hinter der Tür passiert, bleibt unserer Fantasie überlassen. Felix Kramer hat Großes geleistet. Film hat die Möglichkeit, wortlose Momente zu zeigen, in denen es auf Blicke und Gesten ankommt, Berührungen. Diese Wortlosigkeit ist in Irgendwann werden wir uns alles erzählen sehr wichtig.

Emily Atef: In meinem Filmen spielt das Schweigen, die Stille zwischen den Worten eine zunehmend größere Rolle. Ich empfinde es als sehr spannend, meinen Figuren und meinen Schauspielern den Raum zu geben, um Situationen auszuspielen, ohne immer Worte gebrauchen zu müssen. Speziell das Begehren und die Anziehung brauchen keine Worte.

Wie hat es ausgerechnet Fjodor Dostojewskis »Die Brüder Karamasow« in die Geschichte geschafft?

Daniela Krien: Ich selbst habe in den Jahren zwischen 16 und 20 alles von Dostojewski gelesen. Maria habe ich ihn an die Hand gegeben, weil das Buch sehr viel über sie erzählt, über ihren Anspruch an sich selbst und ihre Entwicklung, ihren Ehrgeiz und über die Wege, aus ihrer Situation herauszukommen. Maria liest dieses komplexe Werk auf einer ziemlich simplen, aber für sie richtigen Ebene. Vor allem Gruschenkas Liebesgeschichte hat mit ihr zu tun. Maria gleicht sich mit der leidenschaftlichen und verrucht scheinenden Gruschenka ab. Mehr als mit ihrer eigenen Mutter, die, obwohl noch jung an Jahren, selbst dem Chaos und Vakuum von 1990 erliegt. Auch ihre Position im Film sieht sich wie ein Balanceakt der Inszenierung an.

Emily Atef: Hannah war mir sehr wichtig. Ihr Phlegma sagt viel darüber aus, weshalb Maria von ihr flüchtet, bei Johannes und diesen bodenständigen Menschen im Brendel-Hof unterkommt und schließlich bei Henner landet. Dennoch gestehen wir Hannah eine Entwicklung zu, dann, wenn es Maria schlecht geht und Hannah als Mutter wirklich gefragt ist, sie ihr Leben in die Hände nimmt und selbst auch stärker wird. 

Emily Atef, in all ihren Filmen ist wichtig, dass die Frauen am Ende ihrer oft existenziellen Krisen etwas Licht auf ihrem weiteren Weg bekommen. Wo sehen Sie das Licht für Maria?

Emily Atef: Sie wird vom Dorf weggehen, wird sich gestärkt zeigen, weil sie vielleicht die extremste Liebesgeschichte ihres Lebens schon erlebt hat. Sie wird jetzt mehr darüber wissen, welcher Mann gut für sie ist, was sie selbst will. Und eines Tages wird sie über diesen Sommer 1990 erzählen können.

 

© Presseheft Pandora Film, mit freundlicher Genehmigung


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erschienen am 23. November 2022

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