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Benedict Wells über die Überarbeitung seiner früheren Romane. »Ich hatte als Autor noch nie so viel Spaß.«

Benedict Wells über die neuen Versionen von Spinner und Fast genial, was geändert wurde, worin sich die Überarbeitungen unterscheiden, wieso Becks letzter Sommer ein neues Cover hat und dazu auch schon ein bisschen, worum es im nächsten Roman gehen wird.

Foto: © Bogenberger/autorenfotos

Herr Wells, sind Sie ein Perfektionist?

Benedict Wells: Meine Lektorin würde wahrscheinlich erstmal seufzen und nicken. Aber nur, was das Schreiben angeht, im wahren Leben bin ich eher ein Chaot.

Wie kamen Sie darauf, Ihre alten Bücher noch einmal zu überarbeiten?

Zu Spinner hatte ich immer eine besondere Beziehung. Weil ich den Roman mit neunzehn schrieb und einfach so viel ehrliche Wut und Jugendgefühl von mir da drin stecken. Andererseits gab es auch vieles, was mich störte. Stilistisches, aber auch Inhaltliches. Als etwa der Vater einer meiner besten Freunde früh starb, wurde mir bewusst, wie leichtfertig ich mit diesem Schicksal in der Geschichte umgegangen war. Das habe ich mir sehr vorgeworfen. Doch als Jugendlicher hatte ich mich nicht getraut, zu sehr in die Tiefe zu gehen, ich dachte, ich müsse auf jeder Seite pointiert schreiben und unterhalten, sonst fände ich keinen Verlag. Später habe ich dann gelernt, dass gerade die stillen Momente und die tiefen Stellen ohne Pointen die stärksten sein können. Das alles führte jedenfalls dazu, dass ich anfing, den Leuten von Spinner abzuraten. Von meinem eigenen Buch! Ich fragte mich, ob das ewig so weitergehen solle, und so beschloss ich, mich noch einmal dranzusetzen.

Hatten Sie keine Skrupel?

Doch, natürlich, aber die alten Versionen bleiben in den bisher verkauften Büchern ja erhalten. Außerdem habe ich schnell gemerkt, dass ich noch jung genug bin, um wieder in die Haut der Hauptfigur schlüpfen zu können, andererseits aber alt genug, um ehrlicher und mit der nötigen Distanz schreiben zu können. Wenn man jung ist, klammert man ja auch oft gewisse Stellen aus, die einem zu nah oder zu peinlich sind, dabei sind gerade das die spannendsten. Und klar kann man sagen: Das geht doch nicht, bereits veröffentlichte Romane einfach noch mal umzuschreiben. Aber sagt eigentlich wer? Ich hatte als Autor jedenfalls noch nie so viel Spaß, wie diese Geschichte noch mal zu überarbeiten.

Was genau haben Sie verändert?

Ehrlicherweise muss man sagen, dass ich das Buch damals nicht hart genug redigiert hatte. Ich habe also zunächst viel im stilistischen Bereich korrigiert und schlechte Stellen und Sätze rausgeworfen oder verbessert. Aber natürlich gab es auch einige inhaltliche Änderungen. Größere, wie etwa beim Vater-Strang oder bei der neuen Nebenfigur Hannah – es gibt aber auch viele neue Details, Szenen und Dialoge. Gleichzeitig wollte ich den übermütigen, naiven Sound der Geschichte absolut so lassen und nichts zerstören, was gut war. Das Buch ist auch jetzt immer noch deutlich jünger und chaotischer als die anderen Romane.

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Spinner hat außerdem auch ein neues Cover erhalten. Wie kam es dazu?

Das war sogar der Auslöser für alles. Bei der Suche nach einem Motiv zu Vom Ende der Einsamkeit stieß ich auf ein anderes Bild von Elizabeth Peyton und dachte sofort: Das wäre eigentlich das perfekte Cover für Spinner. Zweiter, verrückterer Gedanke: Aber dann müsste man auch das ganze Buch umschreiben. Dass es nun wirklich so kam, verdanke ich meinem Verleger Philipp Keel, der mich machen ließ.

Und wieso eine neue Version von Fast genial?

Das hatte ganz andere Gründe. Als ich an dem Roman saß, lebte ich in Barcelona und war pleite. Da die Stadt in der Krise war, gab es jedoch kaum Nebenjobs, und so geriet ich beim Fertigstellen des Buchs etwas unter Druck. Später wurde mir bewusst, dass ich es in meiner prekären Lage vielleicht zu früh abgegeben hatte und ein halbes Jahr mehr Schleifen und Feilen der Geschichte gutgetan hätte. Vor allem aber arbeitete ich in den letzten Jahren am Drehbuch zu Fast genial, und immer wieder kamen mir dabei Ideen, bei denen ich dachte: »Schade, dass die nicht im Roman sind.« Und so kam es, dass ich mich auch noch mal an diese Geschichte gesetzt habe.

Gibt es bei den Änderungen Unterschiede zu Spinner?

Ja, anders als dort habe ich bei Fast genial den Kern unverändert gelassen. Allerdings habe ich einiges vertieft, etwa die Freundschaft zwischen Grover und Francis, die nun stärker ist. Die Reise durch Amerika ist liebevoller und detaillierter geschildert und macht auch mehr Spaß. Stilistisch habe ich zudem vieles verfeinert, gleichzeitig Redundanzen rausgeworfen, um das Tempo zu erhöhen. Ein paar Dialoge und Szenen sind dafür neu hinzugekommen. Vor allem aber ist der Charakter von Francis nachvollziehbarer geworden. Einige der besten Sätze zu ihm sind erst jetzt entstanden, da er mir durch die jahrelange Drehbucharbeit noch einmal nähergerückt ist. Das Gerüst des Buchs ist also gleichgeblieben, etwa die einzelnen Etappen und auch das Ende. Die vielen kleinen Änderungen sorgen aber in der Summe dafür, dass das Buch nun mit deutlich mehr Tempo dem Schluss entgegenrast und die Geschichte dadurch eine spürbar größere Wucht entfaltet.

Fast genial
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Hatten Sie nie Angst, die Bücher zu verschlimmbessern?

Zu Beginn auf jeden Fall, doch als ich mich an die Arbeit gemacht habe, hat sich das eigentlich schnell gelegt. Außerdem hatte ich ein Team von Testleserinnen und -lesern. Darunter viele, die die alten Versionen explizit geliebt haben. Und hätte von denen auch nur ein einziger gesagt, dass die Änderungen schlecht sind oder die Bücher an Charme verloren hätten, hätte ich es gelassen. Doch ausnahmslos alle fanden die neuen Versionen stärker. Inzwischen ist Spinner ja auch schon seit zwei Monaten draußen, und bisher habe ich noch nichts Negatives über die Änderungen gehört.

Kennen Sie einen Schriftsteller, der das ebenfalls macht?

In der Vergangenheit gab es einige berühmte Beispiele, ohne mich damit vergleichen zu wollen. Von Fitzgeralds Zärtlich ist die Nacht etwa existieren zwei Fassungen, und Tolstoi hat Krieg und Frieden sogar gleich mehrfach umgeschrieben und neu herausgegeben.

Und aktuell?

Aktuell fällt mir ehrlich gesagt kein Autor ein, der so etwas macht. Manchmal beunruhigt mich das ein bisschen, aber ich musste es einfach tun. Es mag sein, dass mich einige dafür kritisieren werden, doch ich gehe da nur nach meinem Gefühl.

Neu ist nun ja auch das Cover zu Becks letzter Sommer …

Stimmt, das Motiv passt jetzt einfach besser zu den anderen drei Büchern. Die Suche war aber schwierig. Das Buch schwankt ja zwischen Sommer, Musik, Roadtrip und Melancholie, und man kann sich nur für ei🐰nes entscheiden. Bilder von sonnigen Landstraßen und Autos, vom Meer und von italienischen Häusern waren aber oft genauso langweilig wie von Musikinstrumenten und Musikern. Ich habe bestimmt fünfzig Stunden gesucht. Schlussendlich haben wir uns für das sommerliche Motiv von Michael Carson entschieden, mit dem ich sehr glücklich bin.

Becks letzter Sommer
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Glauben Sie, dass dieser Prozess des Überarbeitens je zu einem Ende kommen wird? Oder kommen in fünf Jahren wieder neue Versionen der alten Bücher?

O Gott, auf keinen Fall. Ich bin unendlich froh, dass ich mich noch mal an Spinner und Fast genial setzen durfte, aber das wird die Ausnahme bleiben. Als ich diese Bücher begann, war ich neunzehn und vierundzwanzig, ich war ungeduldig und wollte sie sofort veröffentlichen. Durch die Arbeit an Vom Ende der Einsamkeit ist mir jedoch bewusst geworden, wie wichtig es ist, sich Zeit zu lassen. Zudem war ich nie auf einer Schreibschule, habe auch nie studiert, und so habe ich vieles über das Schreiben erst in den vergangenen Jahren gelernt. Einiges davon habe ich nun in Spinner und Fast genial einfließen lassen. Vor allem aber wollte ich nicht, dass jemand zwölf Euro für Bücher ausgibt, bei denen ich mir ständig dachte, dass ich sie jetzt so leicht besser machen könnte, wenn man mich nur ließe. Beide Geschichten fühlten sich für mich immer unvollendet an, nun kann ich loslassen und den Blick wieder nach vorne richten.  

Apropos: Arbeiten Sie denn schon an einem neuen Roman?

Ja, schon seit ein, zwei Jahren, wenn auch bisher nur im Kopf. Ich gehe oft durch die Straßen und denke über die Handlung und die Charaktere nach, und dabei tauchen immer wieder Szenen und Dialoge vor mir auf. Die Geschichte wird etwas völlig Anderes als Vom Ende der Einsamkeit. Ein klassischer Jugendroman, inspiriert von Filmen wie The Perks of Being a Wallflower, Stand By Me und Breakfast Club oder Büchern wie Eine wie Alaska und Huckleberry Finn. Es dreht sich um den einen unvergesslichen Sommer mit sechzehn, zum ersten Mal Liebe, zum ersten Mal Freundschaft, zum ersten Mal Verlust und Erwachsenwerden. Der Sommer, an den man immer zurückdenken wird. Sobald die Lesereise vorbei ist, fange ich mit dem Schreiben an, ich kann es wirklich kaum erwarten.

Das Interview führte Ursula Baumhauer für den Diogenes Verlag.

Update 7.2.2019: Auf Benedict Wells’ Website findet sich ein Text über das Überarbeiten der Romane.

Vom Ende der Einsamkeit
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Vom Ende der Einsamkeit

Hardcover Leinen
368 Seiten
erschienen am 24. Februar 2016

978-3-257-06958-7
€ (D) 22.00 / sFr 30.00* / € (A) 22.70
* unverb. Preisempfehlung
Auch erhältlich als

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Benedict Wells wurde 1984 in München geboren. Im Alter von sechs Jahren begann seine Reise durch drei bayerische Internate. Nach dem Abitur 2003 zog er nach Berlin. Dort entschied er sich gegen ein Studium und widmete sich dem Schreiben. Seinen Lebensunterhalt bestritt er mit diversen Nebenjobs. Sein vielbeachtetes Debüt Becks letzter Sommer erschien 2008, wurde mit dem Bayerischen Kunstförderpreis ausgezeichnet und 2015 fürs Kino verfilmt. Wie bereits sein dritter Roman Fast genial steht auch sein aktueller Roman Vom Ende der Einsamkeit auf den Bestsellerlisten.  Wells wurde dafür mit dem European Union Prize for Literature (EUPL) 2016 ausgezeichnet. Er lebt in Berlin.

Sein vierter Roman Vom Ende der Einsamkeit ist am 24.2.2016 erschienen. Auch als Hörbuch, gelesen von Robert Stadlober.