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»Unten an der Ecke ist eine Bar. Lass uns einen trinken gehen, bevor der Krieg beginnt.«

Die spannenden Fälle von Dennis Lehanes Ermittlerduo Kenzie & Gennaro erscheinen nun nach und nach bei Diogenes in neuer Übersetzung. Den Anfang macht sein erster Roman Ein letzter Drink. Es ist eine aufwühlende Geschichte um willkürliche Macht, Rassismus und den Mob in Boston. Die Literaturkritikerin Karen G. Anderson traf Dennis Lehane zum Gespräch.

Foto: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag

Dennis Lehane ist ein charismatischer Mann und lacht viel; sein South-Boston-Akzent, einige Formulierungen und seine fast ein wenig ungeduldig vorgebrachten Binsenweisheiten hier und da rufen einem jedoch immer wieder in Erinnerung, dass dieser Mann nicht gerade eine behütete Kindheit hatte.

Sein Studium an der Florida International University, das er mit einem Master in Creative Writing abschloss, machte ihn zu einem talentierten Kurzgeschichtenschreiber, Bekanntheit erlangte er jedoch als Romanautor. Inspiriert von seiner eigenen Kindheit in einem Arbeiterviertel kam dabei eine bis jetzt sechsbändige Krimireihe heraus. Sein erstes Buch Ein letzter Drink (1994) gewann als bestes Debüt den renommierten amerikanischen Krimipreis Shamus Award. Einen anderen Band der Serie mit dem Titel Prayers for Rain hielt 1999 US-Präsident Bill Clinton in der Hand, als er aus der Airforce One ausstieg.

Lehane schreibt herrlich komplexe und verstörend brutale Krimis, die oft einem Thriller ähneln. Es geht dabei jedoch keineswegs um billigen Nervenkitzel, selbst in den blutigsten Momenten sind seine Bücher immer noch atmosphärisch dicht. Lehane kennt Boston genau und porträtiert die verschiedenen Subkulturen der Stadt mit sicherem Blick – die stille Eleganz der reichen Vororte ebenso wie den bedrückenden Kitsch billiger Motelzimmer.

Die Hauptfiguren der Serie, die Privatdetektive Patrick Kenzie und Angela Gennaro, sind bei weitem keine bloßen Krimifigurenschablonen. Kenzie ist zwar ein wütender Idealist, dessen Aggressivität sich auch gegen den brutalen Vater richtet, bei dem er aufgewachsen ist, und wirkt damit auf den ersten Blick natürlich wie der klassische hard-boiled detective. Er ist jedoch kein heimatloser Einzelgänger, sondern lebt und arbeitet nach wie vor im irischen Viertel von Dorchester, wo er mit Angie und Bubba Rogowski, Auftragskiller und legendärer Sidekick der beiden, aufwuchs.

Angie ist pragmatisch, temperamentvoll und undurchschaubar. Wenn es darum geht, einem psychisch gestörten Mörder auf die Spur zu kommen, ist sie tough und mutig. Ihr Privatleben ist jedoch ein einziges emotionales Auf und Ab. Sie versucht seit Jahren, sich von ihrem gewalttätigen Ehemann zu trennen, und die kurze Affäre mit Kenzie sorgt auch nicht gerade für mehr Ordnung in ihrem Gefühlschaos.

Was den Polizeidienst oder den Job eines Privatdetektivs angeht, ist Lehane bestenfalls ein gut informierter Laie und legt auch keinen gesteigerten Wert darauf, seine Bücher diesbezüglich auf Realismus abzuklopfen. Seine Geschichten sind eben Fiktion. Sie spielen in einem etwas heruntergekommenen irischen Viertel, das es so gar nicht mehr gibt, und die Charaktere richten manchmal in einem Kapitel mehr Unheil an, als ganz Boston in einem Jahr erlebt. Meistens sehen sich Kenzie und Angie einem cleveren Bösewicht gegenüber, der überlistet und dingfest gemacht werden muss. Lehane weist gern auf die Parallele zwischen diesem dämonischen Bösewicht und seiner eigenen Rolle als Autor hin.

Foto: Gaby Gerster / © Diogenes Verlag

Karen G. Anderson: Wie hat sich Ihre Hauptfigur Patrick Kenzie im Laufe der Zeit verändert?

Dennis Lehane: Das ist ein wenig seltsam: Für die meisten Charaktere im Buch geht es nach und nach aufwärts, ihr Leben wird immer besser, besonders für Angie. Alle werden glücklicher – außer Patrick. Er wird müder, trauriger, und die Schatten der Vergangenheit, die ihn auch schon im ersten Band begleitet haben, rücken näher. Ich habe keine Ahnung, wo das noch hinführt, das ergibt sich alles erst nach und nach. Die Bücher gehen von selbst in diese Richtung, seine Persönlichkeit gibt das einfach vor. Ich hatte nie geplant, dass sein Leben so verläuft.

Man geht natürlich mit einem anderen Gefühl ans Schreiben eines dritten oder vierten Bands, man verändert sich ja selbst als Mensch. Hat sich denn auch Ihre Beziehung zu Kenzie verändert? Machen Sie ihm jemals innerlich Vorwürfe? Nervt er Sie? Würden Sie ihn manchmal gern retten und ihm einfach ein Happy End schreiben?

Nein. Ich habe bei Patrick von Anfang mit verschiedenen Archetypen gespielt, der Held als Mensch mit tausend Gesichtern auf dem Weg zur Selbsterkenntnis.

Ich will nicht, dass ihn seine Fälle kalt lassen und spurlos an ihm vorübergehen. Ich mag dieses Starsky-&-Hutch-Phänomen nicht, wo Starskys Freundin in einer Folge stirbt, und in der nächsten Folge hat er dann eine neue und ihm geht’s blendend. Ich kann das nicht ausstehen, wenn nichts bei den Charakteren Spuren hinterlässt.

Bei dieser Reihe wird jedes Buch sehr von seinem Vorgänger beeinflusst. Und ich bin nicht sicher, wie viel Patrick noch ertragen kann.

Wieso kann ich mir Angie und sogar Bubba Rogowski so gut vorstellen, doch bei Kenzie funktioniert das nicht?

Weil ich ihn nie beschreibe, nur ab und zu gibt jemand einen Hinweis, der etwas über ihn sagt. Nur bei zwei Dingen bin ich mir ganz sicher: über seine Augenfarbe und seine Haare. Und seit dem zweiten Buch hat er einen Bart.

Ihre Bücher sind teilweise ziemlich beängstigend. Im Gegensatz zu denen der meisten Thrillerautoren sind sie aber auch sehr humorvoll. Wie kamen Sie darauf, Humor in einem Buch unterzubringen, das die Leserschaft im nächsten Kapitel schon wieder zu Tode erschreckt?

Das ist ungewöhnlich, ja. Früher habe ich Kurzgeschichten geschrieben und dachte auch, das würde so bleiben. Ich konnte genau zwei Sorten von Geschichten wirklich gut: total absurde, fast surreale, witzige Geschichten, oder sehr verstörende, realistische oder hyperrealistische. Damit war ich immer unglücklich, weil ich diese beiden Seiten nicht miteinander vereinbaren konnte. Dabei besteht doch das Leben aus genau diesen beiden Seiten.

Die Krimiautoren, die ich früher gelesen habe, Hammett, Robert Parker, Robert Crais, haben oft beides in ihren Büchern. Chandler konnte sehr lustig sein. Als ich mit meinem ersten Roman anfing, war ich überrascht, dass sich da witzige Stellen wie von selbst einschlichen. Das Genre macht es einem natürlich auch leicht – schließlich muss jeder Privatdetektiv immer einen trockenen Kommentar auf Lager haben. Und viele der Autoren, die ich heute mag, schreiben sehr dunkle Geschichten, bringen mich beim Lesen aber urplötzlich auch richtig zum Lachen. Es ist ein sehr großstädtischer Sinn für Humor. Er entsteht aus dem Dunklen, eine Art Galgenhumor.

Richard Price [Autor von Das Gesicht der Wahrheit], einer meiner Lieblingsschriftsteller, bringt mich immer wieder mit Dialogstellen zum Lachen, die wahrscheinlich kaum jemand anderes lustig findet. Das ist unser Ostküstenhumor, glaube ich.

Bubba Rogowski ist eine phantastische Figur. Gab es für ihn eine Vorlage im echten Leben?

Nein. Früher kannte ich schon ein paar Leute, die eine Schraube locker hatten, aber Bubba ist im ersten Buch einfach von selbst aufgetaucht. Das war vielleicht was. Man schreibt so vor sich hin, und plötzlich tauchen Charaktere auf und werden zu Hauptfiguren.

Im Zentrum vieler Ihrer Geschichten steht ein cleverer Schurke, der jedoch die meiste Zeit im Hintergrund agiert – ob das nun der freundliche ältere Barkeeper in Darkness, take My Hand ist oder die bizarre Beziehung der beiden Typen in Prayers for Rain. Diese Leute haben stets komplizierte, sehr elaborierte Pläne, auf denen dann der gesamte Plot basiert. Wie schreiben Sie so etwas und bleiben dabei dennoch glaubwürdig?

Ich bin nicht einmal sicher, dass mir das immer gelingt. Und ich finde diese Frage nach Glaubwürdigkeit sowieso problematisch. Seit wann erwartet man denn von einem Buch Glaubwürdigkeit? Glaubt irgendjemand, dass die drei Musketiere ihre ganzen Abenteuer wirklich erlebt haben? Genau das macht Fiktion doch aus. Hätte es im Hause Hamlet wirklich so viel Blutvergießen gegeben, wäre die Sache doch im dritten Akt beendet worden.

Darum geht’s nun einmal in der Literatur. Mein Freund und Lehrer James W. Hall [Autor von Under Cover of Daylight und Body Language] hat einmal gesagt, dass es in allen Büchern ums Schreiben geht. Wenn man ein Buch schreibt und sich eine Geschichte ausdenkt, dann ist man in dem Moment derjenige, der die Fäden zieht. Meine Bücher sind dann also Bücher über Leute, die sich Geschichten ausdenken. Das klingt ein bisschen sehr nach Postmoderne, aber ich finde, es stimmt.

In Ihren Büchern ist oft gerade derjenige der Täter, von denen man es nie vermutet hätte. Das spricht nicht gerade für ihr Vertrauen in die Menschheit. Jedes Mal, wenn in Ihren Büchern jemand einem anderen Menschen vertraut, passiert etwas Schreckliches.

Außer sie vertrauen einer der Hauptfiguren. Aber ja, das stimmt auf jeden Fall, und das war schon immer so, bei allem, was ich geschrieben habe. Dieses Gefühl, dass man eigentlich niemandem wirklich trauen kann, das finde ich gleichzeitig faszinierend und schrecklich, aber so ist es nun mal im Leben. Man kann einen anderen Menschen nie wirklich kennen. Man hört das ja auch immer wieder in den Nachrichten: Irgendetwas Schlimmes passiert, und hinterher sagen die Leute: »Nein, das kann nicht sein, mein Junge macht so was nicht!«, oder »Das ist doch mein Mann, mein Mann kann so was nicht getan haben!« Tja, hat er aber. Die Menschen sind einfach unberechenbar, genau dadurch entstehen Konflikte, dadurch entstehen Geheimnisse. Ich meine, wenn in einem Krimi jeder so wäre, wie er auf den ersten Blick scheint, gäbe es ja gar keinen Krimi.

Ist das nicht typisch für das Leben in der Großstadt? Wenn man in einem kleinen Ort wohnt, kennt man vielleicht auch nicht jeden ganz genau, aber man hat doch eine gewisse Vorstellung von ihm oder ihr. In einer Großstadt trifft man hingegen jeden Tag auf Fremde. In Ihren Büchern wiegen Sie die Leser in Sicherheit und zeigen ihnen dann plötzlich, dass es diese Sicherheit nie gab.

Man ist in der Stadt ja immer von Leuten umgeben, und plötzlich macht einer von denen etwas völlig Unerwartetes und wird so ein Teil deines Lebens.

In Don DeLillos Buch Spieler gibt es eine Szene, da geht eine Frau über die Straße und sieht dabei zufällig einen Mann an, der in einem Auto sitzt. Man weiß, dass dieser Mann jetzt irgendwohin fahren und masturbieren wird, und durch diesen einen Moment, nur den Buchteil einer Sekunde, fühlt sich die Frau nun beschmutzt, dieser Mann wird für den Rest des Tages ein Teil ihrer Gedanken sein. So ist das, wenn man in einer Großstadt lebt.

Was ist das für eine Stadt, die Sie in Ihren Büchern Boston nennen? Ist es das Boston der Sechziger- und Siebzigerjahre, in dem Sie aufgewachsen sind? Ist es das Boston von heute?

Es ist ein fiktionales Boston. Das Viertel Dorchester allerdings ist tatsächlich das Dorchester der Sechziger, Siebziger und frühen Achtziger, in dem ich aufgewachsen bin. Nachdem ich von dort weggezogen war, habe ich aus einer Art Heimweh heraus darüber geschrieben. Dann kam ich zurück und musste feststellen, wie sehr sich alles verändert hatte. Meine Familie lebt heute nicht mehr dort. Aber ich habe sehr gern über diese Welt von damals geschrieben, ich fühlte mich wohl darin. Obwohl es diesen Ort also so, wie ich ihn beschreibe, gar nicht mehr gibt, ist er eine tolle Kulisse für meine Geschichten.

In meinen Büchern scheint Boston sehr gewalttätig zu sein. Wenn ich den Leuten dann sage, dass diese Stadt in den USA zu den sichersten gehört, fragen sie mich immer, wieso in meinen Büchern dann so viele schlimme Dinge dort passieren. Ganz einfach: In einem Thriller passieren nun mal schlimme Dinge.

Wurden Sie von anderen Schriftstellern inspiriert, deren Geschichten ebenfalls in Boston spielen? George V. Higgins oder Edwin O'Connor zum Beispiel?

Ich bin ein großer Fan von The Last Hurrah und The Edge of Sadness [beide von O'Connor]. Den größten Einfluss auf mich in Bezug auf Boston hatte aber Robert B. Parker. Es gibt viele Schriftsteller aus Massachusetts, die ich sehr mag, den Kurzgeschichtenautor Andre Dubus zum Beispiel. Von Higgins habe ich nicht viel gelesen, nur Die Freunde von Eddie Coyle.

Und was Lieblingsautoren angeht – ich finde es schwer, meine Inspiration an einem einzelnen Menschen festzumachen. Der einzige, der mich ganz sicher beeinflusst hat, ist Graham GreeneRichard PricePete Dexter und William Kennedy sind meine Lieblingsautoren.

Wann wussten Sie, dass Sie Schriftsteller werden wollen?

Ich schreibe schon, seitdem ich acht bin. Mit zwanzig ging mir dann auf, dass ich auch gar nichts anderes kann. Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei Studiengänge abgebrochen. Und wenn es das Einzige ist, was ich richtig gut kann, dann sollte ich es auch ernst nehmen. Also habe ich meinen Master in Creative Writing gemacht. Wo ich herkomme, wird Schreiben nicht als ernstzunehmender Beruf angesehen, deshalb hat es so lange gedauert, bis ich endlich an diesem Punkt war. Aber als ich den einmal erreicht hatte, stand für mich fest, es gibt kein Zurück.

Hatten Sie jemals einen anderen Job?

Ja, jede Menge. Aber von dem Moment an, als ich beschlossen hatte, das Schreiben wirklich ernsthaft zu verfolgen, kam für mich kein anderer Beruf mehr in Frage. Ich wollte auf keinen Fall als Werbetexter oder Journalist arbeiten. Ich habe Lastwagen beladen, gekellnert, was eben nötig war. Aber nach meinem ersten Schreib-Workshop fühlte ich mich als Schriftsteller. Ob ich jemals veröffentlicht würde, war dabei nebensächlich. Für mich kam es nur darauf an, ob ich gut war.

In Ihren Büchern werden oft die Themen Gott, Kirche und Glaube verhandelt. Und das nicht nur, weil es der Fall gerade hergibt, sondern als ernsthafter Diskussionspunkt. Kenzies Büro ist in einem ehemaligen Kirchturm eingemietet, und Angie ist gläubige Katholikin.

Ja, das mag ich so an ihr. Dass sie religiös ist, zeigt sich in allen Büchern immer wieder. Einmal beschimpft sie einen FBI-Agenten, weil der sich respektlos über die Kirche äußert, und sie macht sich immer schick, wenn sie zum Gottesdienst geht. Das gefällt mir an ihr. Ich akzeptiere jeden Glauben, der anderen nicht weh tut. Wenn jemand an Gott glaubt, sollte man das respektieren und sich nicht darüber lustig machen.

In Detektivromanen werden die weiblichen Ermittler oft als aggressiv und verbittert dargestellt, das trifft auf Angie überhaupt nicht zu. Im Gegenteil, wenn man ihre Herkunft bedenkt, ist das ein ziemlicher Schritt auf der Karriereleiter, und dessen scheint sie sich sehr bewusst zu sein.

Das war eine der wenigen bewussten Entscheidungen, nachdem ich mir dieses Genre ausgesucht hatte. Meine Figuren sollten keine Kriegsveteranen sein oder sich mit irgendeiner obskuren Kung-Fu-Philosophie befasst haben und es deshalb mit jedem aufnehmen können. Meine Figuren sollten normale, verletzliche Leute sein. Sie sind nicht mutiger als die meisten Menschen, sie zwingen sich wenn nötig nur eben dazu, Situationen durchzustehen.

Deshalb mag ich diese Bücher. Kenzie und Gennaro sind Menschen wie du und ich, nur haben sie eben zufällig schon ein paar Schusswechsel erlebt. Wenn Angie sich mit einem Mann prügeln müsste, würde sie verlieren, sie ist ja eine zierliche Frau. Aber sie würde ihn erschießen, bevor er ihr überhaupt nahe genug kommt. Das ist ihre Stärke.

Sie meinten eben: »… nachdem ich mir dieses Genre ausgesucht hatte«. Ist das nicht ziemlich ungewöhnlich, dass jemand über ein Creative-Writing-Studium zum Krimischreiben findet? Hatten Sie nicht das Gefühl, Sie würden sich damit andere Türen verschließen?

Bei meinem ersten Buch [Ein letzter Drink] ging es mir nur um den Spaß am Schreiben, und Krimis mochte ich schon immer. Und dann verkauft sich das plötzlich so gut! Nachdem ich das Manuskript an verschiedene Verlage geschickt hatte, begann ich meinen Master und konzentrierte mich da wieder mehr auf Kurzgeschichten. Aber ich kam immer wieder auf bestimmte Passagen zurück, aus denen dann Darkness, take My Hand wurde.

Ich hatte damals nicht das Gefühl, in mir würde ein »ernstzunehmender Roman« schlummern, ich hatte ja noch von nichts eine Ahnung. Ein letzter Drink habe ich mit fünfundzwanzig geschrieben. Ich wollte einfach nur einen Roman schreiben. Aber das Tolle an Krimis ist ja, dass der Plot sozusagen schon eingebaut ist. Und an diesen Plot kann man dann tausend Sachen dranhängen, tausend Ideen drum herum schreiben, seine eigene Thematik, seine eigenen Ansichten, was man will. Man muss sich nur an die eine Regel halten: Irgendjemandem muss etwas zustoßen, und dann muss die Frage nach dem Warum beantwortet werden. Das war sehr praktisch für mich, weil mir der Plot einfach nicht so wichtig ist.

Und was das Schreiben eines bestimmten Genres angeht: Literatur, also die großen literarischen Werke, an die man dabei so denkt, sind unantastbar. Unterhaltungsliteratur kommt da nicht ran, das steht fest.

Ich finde aber, dass die nicht ganz so gelungenen literarischen Werke wiederum nicht an richtig gut geschriebene Unterhaltungsliteratur rankommen. Ich persönlich lese lieber einen gut geschriebenen Unterhaltungsroman als ein schlecht geschriebenes hochliterarisches Werk. Die nehmen sich selbst viel zu wichtig, als würde man sich ein Pflaster abreißen und die Wunde anschließend unter der Lupe betrachten. Oder diese Bücher, die die emotionale Leere der amerikanischen Mittelklasse beklagen.

Ich weiß noch, wie ich während des Studiums mal zu einem Kommilitonen gesagt habe, dass ich diese Geschichten einfach so satthabe, die in der Küche eines Hauses in Greenwich, Connecticut spielen, und in denen sich zwei Yuppies beieinander über ihren Ennui auslassen. Das interessiert doch niemanden! Wenn alle Bücher wie Sula von Toni Morrison wären oder wie Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez, dann, ja dann sollten wir alle so schreiben. Aber das ist nun mal leider nicht der Fall.

Was ist Ihrer Meinung nach ein herausragender zeitgenössischer Krimi?

Black Cherry Blues von James Lee Burke zum Beispiel. Und L.A.-Quartett von James Ellroy. Und alles von George Pelecanos. Der ist, glaube ich, mein Lieblingskrimiautor von denen, die noch leben. Ich lese seine Bücher und frage mich hinterher, wieso kein anderer darüber schreibt.

Es gibt ein paar Unterhaltungsromane, die in ihrer eigenen Liga spielen. Der letzte echte Kuss von James Crumley gehört zum Beispiel dazu, das Buch steht einfach für sich. Egal, welchen Krimiautor der jüngeren Generation man fragt, die sagen alle, dass es ein Meisterwerk ist. Es beschreibt das Amerika der Siebzigerjahre besser als jedes andere Buch. Es ist natürlich von Chandlers Der lange Abschied beeinflusst, aber ich muss dabei auch an Unterwegs von Jack Kerouac und Angst und Schrecken in Las Vegas von Hunter S. Thompson denken. Das ist einer der großen Romane der letzten Jahre.

 

Text von Karen G. Anderson, erstmal erschienen im January Magazine. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Jenny Merling.

 

Ein letzter Drink. Ein Fall für Kenzie und Gennaro, aus dem Amerikanischen übersetzt von Steffen Jacobs, ist am 24.8.2016 erschienen. Auch als ebook.

Dennis Lehane, irischer Abstammung, geboren 1965 in Dorchester, Massachusetts, arbeitete als therapeutischer Berater für geistig behinderte und sexuell missbrauchte Kinder, als Kellner, Limousinenchauffeur, Parkplatzwächter, in Buchläden und als Erntehelfer, bevor er Creative Writing an der Florida International University studierte. Seine erfolgreich verfilmten Bücher Mystic River und Shutter Island sind Weltbestseller. In der Nacht, verfilmt von Ben Affleck, kommt 2017 in die Kinos. Dennis Lehane lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Los Angeles und Boston.

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